Praktisches Verwaltungsrecht

 

 

Handbuch des Sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts

2. Auflage 2014

 

Entziehung der Fahrerlaubnis bei zahlreichen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs ?

Verwaltungsrundschau 2003, S. 382 ff.

Gliederung

A. Vorbemerkung

B. Sachverhalt

C. Fallgestaltungen im Einzelnen

D. Lösung des VG Berlin

E. Heutige Rechtslage

F. Vielzahl von Verkehrsverstößen

G. Differnzierende Betrachtung

H. Ergebnis

Fussnoten

 

 

A. Vorbemerkung

Erst kürzlich ist in der Presse (1) wieder darauf hingewiesen worden, dass auch eine Vielzahl kleinerer Verstöße eines Fahrzeugführers gegen Verkehrsvorschriften (z. B. Falschparken) bis hin zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen kann.

Konkret wurde in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin 2 verwiesen.

B. Sachverhalt

Diesem Beschluss des VG Berlin lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Dem 29-jährigen Antragsteller 3 hatte das Landeseinwohneramt Berlin (als zuständige Fahrerlaubnisbehörde) 4 die im Oktober 1978 erworbene Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 mit Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen.

Der die Entziehung anordnende Bescheid, zugestellt am 20.11.1989, ist darauf gestützt, dass der Antragsteller von März 1986 bis Juli 1989 insgesamt 9 Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs begangen hatte. In 5 Fällen parkte er unzulässigerweise auf dem Gehweg, in den übrigen Fällen behinderte er den fließenden Verkehr bzw. den Abbiegeverkehr. Er wurde deswegen mit Geldbußen zwischen 80 und 150 DM belegt, alle Verstöße wurden in das Verkehrszentralregister eingetragen.

Aus den vom Kraftfahrbundesamt zu diesen Eintragungen an die Behörde übersandten Nachrichten geht hervor, dass der Antragsteller seit November 1985 mit zahlreichen weiteren, nicht eintragungspflichtigen Verstößen gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs aufgefallen war, sodass einschl, der registrierten Vorfälle insgesamt 69 Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs aktenkundig geworden waren.

Auf Aufforderung der Behörde unterzog sich der Antragsteller im August 1989 einer psychologischen Untersuchung. Diese zeigte, dass bei dem Antragsteller nicht einmal ansatzweise eine Einstellungsänderung zu seinem Fehlverhalten zu erkennen war. Ihm fehlt offensichtlich die Einsicht, auch die anscheinend weniger bedeutsamen Verkehrvorschriften zu beachten, die einen reibungslosen und sicheren Verkehrsfluss gewährleisten sollen 5.

Zur durchgeführten Begutachtung führte das Gericht in den Gründen des Beschlusses noch aus: So hat er eingeräumt, dass die Parkplatznot die Ursache der zur Eintragung gelangten Verkehrsverstöße sei, zwar durch einen zwischenzeitlichen Wohnungswechsel entfallen, dass er aber dennoch in der Folgezeit wiederum etwa 6mal verbotswidrig geparkt habe, wobei in 2 Fällen sein Fahrzeug sogar hat umgesetzt (Anm.: d.h. abgeschleppt) werden müssen.

C. Fallgestaltungen im Einzelnen

Bei der weiteren Erörterung muss differenziert werden:

So handelt es sich hier um den Sachverhalt, dass mehrere im Verkehrszentralregister eingetragene Verkehrsverstöße (gegen den ruhenden Verkehr) vorlagen und die Behörde Anlass zum Tätigwerden sah.

Davon unterschieden werden muss der Fall, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis nur mittels ausgesprochener Verwarnungen nach § 27 StVG (wegen Verstößen gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs) auffällig geworden ist und die Behörde wegen der Häufigkeit der erteilten Verwarnungen 6 an die Entziehung der Fahrerlaubnis denkt. Die Verwarnungen sind nicht im Verkehrszentralregister eingetragen.

Im Verkehrszentralregister werden nur Ordnungswidrigkeiten eingetragen, bei denen eine Geldbuße von mindestens 40 Euro festgesetzt wurde (§ 28 Nr. 3 StVG alt und jetzt § 28 lII 3 StVG) während das Höchstmaß des VerwarnungsgeldeS immer unter 35 Euro liegt 7.

D. Lösung des VG Berlin

Bei der Entscheidung des VG Berlin ist zu beachten, dass 1990 noch das „alte StVG anzuwenden war 8.

I. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis war damals § 4 I StVG mit der Frage, ob auch Verstöße gegen den ruhenden Verkehr geeignet sind, die Nichteignung eines Kraftfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen (i.V. mit § 15 b I StVZO).

II. Wegen der zahlreichen Auffälligkeiten des Fahrzeugführers i.V. mit der Tatsache, dass „nur Verstöße gegen den ruhenden Verkehr registriert waren, hat die Behörde den Fahrzeugführer zur Beibringung eines psychologischen Gutachtens aufgefordert (§ 15 b III Nr. 2 StVZO). Wie aus der oben dargelegten Sachverhaltsdarstellung des Gerichts ersichtlich, hat sich das Gericht eingehend mit dem Ergebnis des Gutachtens auseinander gesetzt.

III. Das Gericht stellt ausdrücklich auf die (oben dargelegten 9 eintragungsfähigen) Verstöße 9 ab und bezeichnet den Fahrzeugführer als sog.,, Dauerübertreter, der die Vorschriften des ruhenden Verkehrs hartnäckig missachtet. „Er hat durch wiederholte Nichtbeachtung des Park- bzw. Halteverbots jeweils den Fußgängerverkehr bzw. den fließenden Verkehr behindert und offensichtlich auch gefährdet. Bei der Beurteilung der charakterlichen Eignung zum Führen von Kfz. im öffentlichen Straßenverkehr bedeutet es keinen prinzipiellen Unterschied, ob ein Kraftfahrer fortlaufend andere Verkehrsteilnehmer dadurch gefährdet, dass er durch sein verbotswidrig abgestelltes Fahrzeug ein Hindernis für den fließenden Verkehr bereitet oder ob er dies als Teilnehmer am fließenden Verkehr tut.

Das Gericht führt weiter aus, dass der Eindruck, dass dem Antragsteller die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt, durch das Ergebnis der psychologischen Untersuchung noch verstärkt worden ist (siehe die oben dargelegten Ausführungen des Gerichts zum Untersuchungsergebnis) „Deshalb ist von ihm auch nicht zu erwarten, dass er die Rechtsvorschriften im fließenden Verkehr hinreichend beachten wird, selbst wenn bisher entspr. Verstöße nicht bekannt geworden sind.

IV. Im Ergebnis hat das VG Berlin die Entscheidung der Verwaltungsbehörde betr. die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht beanstandet.

Zu beachten ist noch, dass das Gericht ausdrücklich nur auf die im Verkehrszentralregister eingetragenen Verkehrsverstöße abgestellt hat. Es handelt sich nicht um den Fall, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis Verstöße begangen hat, die nur mit Verwarnungen geahndet und deshalb nicht in das Verkehrszentralregister eingetragen wurden.

E. Heutige Rechtslage

Wie ist der damals vom VG Berlin entschiedene Fall nun nach dem jetzt geltenden StVG zu beurteilen ? (10)

I. Vorab ist zu prüfen, ob es sich um eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 oder nach § 4 StVG handelt.

1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 StVG (sog. Punktesystem) kommt nicht in Betracht, weil die der Entscheidung zugrunde liegenden 9 Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs (Parken auf Gehwegen usw.) nicht zu einer Punktzahl von 18 Punkten führen. Erreicht nämlich ein Fahrzeugführer 18 Punkte, so besteht eine unwiderlegliche Vermutung der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen  11. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 4 III 3 StVG).

2. Die „Punkte ergeben sich aus Anlage 13 zu § 40 FeV (12). Es handelt sich hier um „übrige Ordnungswidrigkeiten nach Nr. 7 der Anlage 13, die jeweils mit 1 Punkt bewertet werden (weil sie nicht unter die vorher konkret benannten Ordnungswidrigkeiten der Nr. 1 — 6 einzuordnen sind).

II. Es kommt demnach nur eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 StVG in Betracht.

Typische Fälle der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 StVG sind diejenigen, in welchen der Inhaber der FahrerIaubnis Verkehrsverstöße begangen hat, die jedoch insgesamt noch nicht mit 18 Punkten bewertet wurden, weshalb eine Entziehung nach § 4 StVG ausscheidet (13).

1. Insbesondere bei einer Sachlage. wie sie der Entscheidung des VG Berlin zugrunde lag, wird die Behörde vor der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis vorab nach § 46 III FeV i.V. mit § 11 III FeV die Vorlage eines psychologischen Gutachtens fordern müssen (§ 3 I 3 i.V. mit § 2 VIII StVG). Denn die Behörde ist (außerhalb des Entziehungsverfahrens nach § 4 StVG bei den sog. Punktetätern) gehalten, die Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu würdigen, wenn sie außerhalb des sog. Punktesystems zu einer Entscheidung schreiten will. Dabei können auch Verkehrsordnungswidrigkeiten, selbst wenn diesen für sich genommen — wie etwa Verstöße gegen Parkvorschriften — nur geringes Gewicht beizumessen ist, werden sie beharrlich und häufig begangen, (ausnahmsweise) in besonders krassen Fällen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Mängel oder zumindest die Beibringung eines Eignungsgutachtens wegen (begründeter) Zweifel an der charakterlichen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers rechtfertigen, weil bei dieser besonderen Fallgestaltung auf charakterliche Mängel, die sich in der beharrlichen Missachtung der Rechtsordnung (Verkehrsvorschriften) geäußert haben, geschlossen werden kann. (14)

2. Auch nach jetziger Rechtslage ist die Behörde daher berechtigt, im konkreten Fall (VG Berlin) ein Eignungsgutachten anzufordern.

3. Insgesamt ist festzuhalten, dass auch nach jetzigem Recht im konkreten Fall die Entziehung der Fahrerlaubnis, gestützt auf § 3 I StVG, rechtmäßig gewesen wäre (15).

F. Vielzahl von Verkehrsverstößen

Zu erörtern ist jetzt noch der Fall, dass es sich um einen Verkehrsteilnehmer handelt, bei welchem eine Vielzahl von Verkehrverstößen insbes. gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs aktenkundig geworden sind (z.B. durch Verwarnungen), die jedoch nicht zu Eintragungen in das Verkehrszentralregister führten (siehe oben C).

I. Mit diesem Problem beschäftigte sich bereits im Jahre 1973 das BVerwG 16.

Den Urteilgründen ist zu entnehmen, dass der Fahrzeugführer Verkehrszuwiderhandlungen begangen hatte, die im Verwarnungsverfahren (§ 56 ff. OwiG, § 27 StVG) (17) gerügt wurden (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um nicht mehr als 10 bis 15 km/h und Nichtbeachtung der zulässigen Parkzeit). Die Behörde entzog daraufhin die Fahrerlaubnis unter Hinweis auf § 4 StVG 18.

1. Das BVerwG führte aus, dass „der Gesetzgeber bei Verkehrsverstößen, die im Verwarnungsverfahren gerügt werden, keine Vorkehrungen getroffen hat, dass sie für Verwaltungsmaßnahmen aufgrund des StVG ausgewertet werden können. Damit hat er gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass er ihnen in dieser Beziehung keine Bedeutung beimisst. Die Bedeutung des Verwarnungsverfahrens liegt nicht nur in seiner Entlastungsfunktion für die Verwaltung, sondern auch in der Bewertung, die damit den dem Verwarnungsverfahren zugänglichen Verkehrsordnungswidrigkeiten zuteil wird. Die Rechtsordnung rechnet sie dem äußersten Bagatellbereich zu. Verstöße dieser Art werden im Einverständnis mit dem Betroffenen ohne genaue Aufklärung des Sachverhalts in einem vereinfachten Verfahren erledigt, ohne dass dabei eine Entscheidung über das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit getroffen wird (19). Für das Entziehungsverfahren verwertbare Unterlagen sind in der Regel nicht vorhanden. Die durch Verwarnung gerügten Ordnungswidrigkeiten werden auch nicht in das Verkehrszentralregister eingetragen. Sie werden als für Zwecke des Verkehrszentralregisters unbedeutsame Verstöße angesehen 20

2. Im Ergebnis stellte somit das BVerwG fest, dass „die Verkehrsverstöße des Klägers nicht ausreichten, die Entziehung der Fahrerlaubnis nach (Anm.: dem damals geltenden) § 4 I StVG zu rechtfertigen. Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften, die im Verwarnungsverfahren gerügt werden können, haben grundsätzlich bei der Frage, ob ein Kraftfahrer noch zum Führen von Kfz. geeignet ist, außer Betracht zu bleiben.

3. Auch nach jetzt geltendem Recht kommt eine nunmehr auf § 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis in einem derartigen Fall nicht in Frage (21).

II. Mit der Problematik der Verwertung von Verwarnungen bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis befasste sich das BVerwG erneut im Jahre 1976 (22).

1. Der Kläger beging innerhalb von 5 Jahren 61 Übertretungen bzw. Ordnungswidrigkeiten des ruhenden Verkehrs. Dafür erhielt er 56 Geldbußen. In fast allen Fällen sollte der Kläger wegen der Verkehrsordnungswidrigkeiten verwarnt werden. Als er sich damit nicht einverstanden erklärte oder das Verwarnungsgeld nicht zahlte, wurden Geldbußen in Höhe des sonst in Betracht kommenden Verwarnungsgeldes festgesetzt. Darüber hinaus hat der Kläger 4 zusätzliche Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen. Die Behörde entzog ihm daraufhin nach § 4 StVG die Fahrerlaubnis.

2. Vorab verweist das Gericht auf die oben unter I. besprochene Entscheidung aus dem Jahre 1973, wonach zum Bagatellbereich gehörende Verkehrsverstöße (Verwarnungen) grundsätzlich bei der Prüfung der Eignung eines Kraftfahrers nicht zu berücksichtigen sind.

3. Jedoch „sind — wenn auch nur sehr begrenzt — von diesem Grundsatz Ausnahmen denkbar.Der Kläger hat durch sein Verhalten bewiesen, dass er nicht bereit ist, die Verkehrsordnung, soweit sie den ruhenden Verkehr betrifft, zu beachten. Er hat sich bewusst und ständig über diese Vorschriften hinweggesetzt, obwohl die Nichtbeachtung des Halteverbots, das der Kläger 17 mal verletzt hat, nicht unerhebliche Gefahren für den fließenden Verkehr zur Folge hat. Da der Kläger die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und sie bewusst immer wieder verletzt, ist von ihm ein Beachten der Rechtsvorschriften für den fließenden Verkehr nicht zu erwarten, wofür auch die Tatsache spricht, dass er auch die hierfür geltenden Rechtsbestimmungen in 4 Fällen verletzt hat. Ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und wer solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, ist zum Führen von Kfz. nicht geeignet... (23)

4. Anzumerken ist, dass sich das Gericht nicht mit der Frage befasst hat, ob derartige Verkehrsverstöße, die nicht im Verkehrszentralregister eingetragen sind, überhaupt zur Beurteilung der Eignungsfrage herangezogen werden dürfen. Ebenso ist nicht klar, ob die angesprochenen 4 zusätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten im Register eingetragen waren oder nicht, wobei diese Verstöße aber im sog. „fließenden Verkehr begangen wurden.

Das Gericht hat demnach die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nur mit einer Vielzahl von Verstößen gegen den ruhenden Verkehr begründet.

G. Differenzierende Betrachtung

Betrachtet man nun abschließend die 3 besprochenen Gerichtsentscheidungen, so ist wie folgt zu differenzieren:

I. Das BVerwG verneinte im Jahre 1973 die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis eines Kraftfahrers, der (geringfügige) Verstöße gegen den fließenden und ruhenden Verkehr beging, die in keinem Falle im Verkehrszentralregister eingetragen waren.

II. Der Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 1976 lag der Sachverhalt zugrunde, dass es Verstöße gegen den fließenden und ruhenden Verkehr gab, offen bleibt die Frage der Eintragung der Verkehrsverstöße im Verkehrszentralregister. Das Gericht hat die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis bejaht.

III. Das VG Berlin bejahte 1990 die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Kraftfahrer, der wiederholt gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs verstieß, wobei im Verkehrszentralregister eingetragene Vorfälle der Entscheidung der Behörde zugrunde lagen.

H. Ergebnis

Demnach wird deutlich, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis (heute nach § 3 StVG) wegen wiederholter Verstöße nur gegen den ruhenden Verkehr nur rechtmäßig sein kann, wenn es sich um im Verkehrszentralregister eingetragene Verstöße handelt.

I. Dafür spricht einerseits die Tatsache der Geringfügigkeit der Verstöße gegen den sog. ruhenden Verkehr, die nur mit Verwarnungen geahndet (und deshalb nicht eingetragen) werden und andererseits die Existenz des Verkehrszentralregisters mit den rechtsstaatlichen Regelungen der Eindeutigkeit der Eintragung (§ 28 StVG) und evtl. Tilgungen gemäß § 29 StVG  24. Außerdem kann der Kraftfahrer bei diesen Eintragungen seinen „Punktestand im Verkehrszentralregister erkennen 25, während er bei der Verwertung von Verwarnungen unterhalb der Eintragungsgrenze durch die Verwaltungsbehörde relativ schutzlos und uninformiert ist 26.

II. Zudem kann es bei der Verwertung von Verwarnungen zu erheblichen Ungleichbehandlungen kommen. Man denke nur an den Fall, dass ein Fahrzeugführer regelmäßig in Chemnitz wegen Verkehrsverstößen gegen den ruhenden Verkehr verwarnt wird, eine Datensammlung durch die Stadt Chemnitz läge nahe. Ein anderer Fahrzeugführer dagegen wird ebenfalls regelmäßig verwarnt, als Beschäftigter im Außendienst (und damit verbundenen häufigen Fahrten innerhalb des Bundesgebietes) erhält er die Verwarnungen aber immer in verschiedenen Städten, eine Datensammlung entfällt.

III. Letztlich spricht auch der sog. Amtsermittlungsgrundsatz des § 2 VII StVG 27 (der nach § 3 I 3 StVG bei der Entziehung der Fahrerlaubnis entspr. gilt) dafür, nur im Verkehrszentralregister eingetragene Entscheidungen (§ 2 VII 2 StVG) zu Lasten des Inhaber des Fahrerlaubnis zu verwerten. Diese Daten sind zudem nach § 2 IX StVG nach einer bestimmten Zeit zu vernichten, zu tilgen oder zu löschen.

1  ADAC-Motorwelt 4/2003, S. 62.

2  NZV 1990, 328.

„Antragsteller bei Gericht deshalb, weil er einen sog. Eilantrag bei Gericht nach § 80 V VwGO gestellt hat, mit dem er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs erreichen will.

§ 73 I FeV (heute geltendes Recht).

5  Sog. tatsächliche Gründe des Bescheides (Verwaltungsaktes) der Behörde, § 39 I 2 ,1. Alt. VwVfG.

Der Entscheidung des VG Berlin ist zu entnehmen, dass 69 Verstöße gegen den ruhenden Verkehr aktenkundig waren. In dem vom BVerwG entschiedenen Fall aus dem Jahre 1976 (siehe später unter F II) hatte die Behörde Kenntnis vom 61 Ubertretungen innerhalb von 5 Jahren.

§ 2 der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (des Bundesverkehrsministers) für die Erteilung einer Verwarnung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nachzulesen bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage 2003, S. 1559.

Siehe dazu Weber, Fahrerlaubnis und Verwaltungsbehörde, Blutalkohol 1999, S. 106 ff.

Nach § 28 Nr. 3 des damals geltenden StVG wurden u.a. Geldbußen von mindestens 80 DM im Verkehrszentralregister eingetragen. Nach § 2 der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (des Bundesministers für Verkehr) für die Erteilung einer Verwarnung liegt das Höchstmaß des Verwarnungsgeldes unter 80 DM. Verwarnungsgelder sind demnach keine Geldbußen i.S.. des § 28 III 3 StVG, siehe auch § 56 OWiG.

10 Grundsätzlich zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach jetzigem Recht siehe Weber, Der Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem neuen StVG, VR 2002, 193ff.

11 OVG Lüneburg, NJW 2000, 685; OVG Hamburg, NJW 2000, 1353; VG Braunschweig, NZV 2001, 535, 536; VGH Mannheim, NJW 2002, 2264,2265.

12 Die FahrerlaubnisVO (FeV) hat die früher geltenden Vorschriften der StVZO über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (§§ 1 — 15) ersetzt. Dieses frühere Kapitel A der StVZO ist nunmehr in der FeV geregelt.

13 Siehe z.B. OVG Lüneburg, NJW 2000, 685; VG Berlin, NZV 2000, 479; OVG Hamburg, NJW 2000, 1353; OVG Münster, NJW 2001, 396; VGH Mannheim, NZV 2002, 582; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 2002, 116; OVG Koblenz, VRS 99/00, 238;.

14 OVG Lüneburg, NJW 2000, 685. Dabei differenziert das Gericht nicht nach Verwarnungen, die nicht in das Verkehrszentralregister eingetragen werden und nach einzutragenden Entscheidungen !

15   Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Anm. 13 zu § 2 StVG mit Hinweisen auf die Rspr.

16   NJW 1973, 1992.

17 Ebenso nach jetzt geltendem Recht. Diese Verwarnungen sind nicht zu verwechseln mit der durch die Verwaltungsbehörde ausgesprochenen „Verwarnung nach dem jetzt geltenden § 4 III 1 StVG: Diese soll den Punktetäter ab dem Erreichen von 8 Punkten „ermahnen mit dem Angebot eines Punkterabatts bei Besuch eines Aufbauseminars (Begr. des Bundesrats, BTDrucksache 13/6914, S. 102).

18 Hier muss angemerkt werden, dass es sich also nicht nur um Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs handelte, sondern auch Geschwindigkeitsüberschreitungen festgestellt wurden (sog. fließender Verkehr).

19   Hentschel, Anm. 7 zu § 26 a StVG.

20 Früher § 30 I 2 StVG, heute § 29 II 1,III 3 StVG.

21 So auch Hentschel, Anm. 13 zu § 2 StVG.

22   DÖV 1977, 603.

23 Ebenso VG Berlin, NZV 1990, 328; OVG Lüneburg, NJW 2000, 685.

24   Zu Fragen der Tilgung von Eintragungen siehe z.B. VG Berlin, NZV 2000, 479 und 2002, 338, 339; OVG Koblenz, NJW 2000, 2442, 2443; BVerwG, BayVBl. 2002, 24.

25   Er hat gegenüber dem Verkehrszentralregister einen Auskunftsanspruch gemäß § 30 VIII StVG.

26 Auch das BVerwG hat in der Entscheidung vom 18.5.1973 (NJW 1973,1992) darauf hingewiesen, dass bei Verwarnungen an den Inhalt der nach § 27 StVG, § 56 III OWiG auszustellenden Bescheinigung nur geringe Anforderungen gestellt werden. In ihr muss nicht unbedingt die Person des Betroffenen bezeichnet werden und außerdem ist die Tat, wenn überhaupt, nur durch Hinweis auf die Gesetzesvorschrift angegeben.

27 Sonderrechtliche Ausprägung des allgemeinen Amtsermittlungsgrundsatzes gem. den §§ 24 und 26 VwVfG; siehe dazu VGH München, NJW 2002, 82