Immer wieder die Tauben
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I. SachverhaIt (X)
Amalie Tierlieb wohnt in Saarbrücken.
Am 22. 7. 2003 setzte der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Saarbrücken gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro fest. Die dem Bescheid zugrunde liegende Tat wurde wie folgt beschrieben: »Ihnen wird vorgeworfen, vom 13. 1. 2003 bis 8. 5. 2003 in Saarbrücken, Riegelsberger Str. 15, folgende Ordnungswidrigkeiten begangen zu haben: Sie haben gegen Bestimmungen der Polizeiverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit auf Straßen und Plätzen der Landeshauptstadt Saarbrücken verstoßen, indem Sie an oben genannter Örtlichkeit wild lebende Tauben fütterten, §§ 10, 15 der vor genannten Polizeiverordnung.«
Einer in der Akte befindlichen schriftlichen Anzeige von Nachbarn war zu entnehmen, dass die Betroffene innerhalb des angegebenen Zeitraums an 15 Tagen zu bestimmten, von den Anzeigeerstattern beobachteten Uhrzeiten, auf dem Gehweg vor dem von ihr bewohnten Anwesen Futter für Tauben auslegte.
Frau Tierlieb war mit diesem Bußgeldbescheid nicht einverstanden und erhob Einspruch.
II. Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeitenverfahren und präventivem Taubenfütterungsverbot
1. Den Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG, Bundesrecht) liegt der Gedanke der Repression 1 zugrunde, also ein strafrechtlicher Ansatz.2 Die - wie hier - im Bußgeldbescheid ausgesprochene Geldbuße ähnelt der Geldstrafe im Strafrecht. Die Betroffene wurde hier für ein dem Bußgeldbescheid vorausgegangenes Fehlverhalten in der Vergangenheit 3 »bestraft«, indem ihr gegenüber eine Geldbuße festgesetzt wurde.
a) Es handelt sich um eine »nachdrückliche Pflichtenmahnung« insbesondere fehlt der Geldbuße der »Ernst der staatlichen Strafe«.4 Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) durchzuführen, soweit das OWiG keine Sonderregelungen enthält (§ 46 Abs. 1 OWiG). Diese Ordnungswidrigkeiten haben im Vergleich mit den Straftatbeständen einen deutlich geringeren »ethischen Unwertgehalt.« (5)
b) Somit ist das Ordnungswidrigkeitenverfahren auch nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, § 2 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Insbesondere gilt hier das sog. Opportunitätsprinzip, d.h. die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Verfolgungsbehörde. Sie kann das Verfahren jederzeit einstellen, solange es bei ihr anhängig ist (§ 47 Abs. 1 OWiG).
2. Demgegenüber ist der Ansatz der »Prävention« i. S. einer polizeirechtlichen Gefahrenabwehr für von der Polizei zu schützende Rechtsgüter darauf gerichtet, zukünftiges Fehlverhalten des Betroffenen (polizeirechtlich »Störer« genannt) dauerhaft (oder zumindest für eine gewisse Zeit, je nach polizeilicher Feststellung) zu unterbinden.
a) Dieser polizeirechtliche Ansatz wurde in der vorgenannten Klausur »Wilde Tauben in P« verfolgt, indem die Behörde konkret ein präventives Taubenfütterungsverbot mit Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) erlassen hat, weil der Adressat des Taubenfütterungsverbots mehrfach gegen diese Festlegung der Polizeiverordnung verstieß und auch vorangehend dementsprechende Bußgeldbescheide erlassen wurden. Bei diesem präventiven Verbot der Taubenfütterung handelte es sich um einen belastenden Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG, die Regelungen des VwVfG (§§ 9 ff.) finden Anwendung.
b) Zusätzlich (zu dem sog. Grund-Verwaltungsakt betr. Verbot der Taubenfütterung) hatte die Behörde für jeden Fall der Nichtbefolgung dieser Anordnung ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 DM angedroht.6 Hierbei handelt es sich um eine sog. unselbstständige Androhung, die mit dem Grund-Verwaltungsakt verbunden ist, § 20 Abs. 2 SächsVwVG. Sie konnte deshalb mit dem Grund-Verwaltungsakt verbunden werden, weil die Behörde sich durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Vollstreckungstitel verschafft hatte.7
c) Rechtsgrundlage für das Taubenfütterungsverbot im konkreten Fall ist § 10 der Polizeiverordnung der Stadt Saarbrücken. In der Klausur war es § 4 Nr. 3 der entsprechenden Polizeiverordnung der Stadt Plauen (8). Das bedeutet aber nur, dass es gemäß der Polizeiverordnung untersagt ist, diese Tauben zu füttern.
aa) Polizeiverordnungen dienen der Bekämpfüng sog. abstrakter Gefahren, § 9 SPolG. (9) »Eine abstrakte Gefahr liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten unter Berücksichtigung der im Geltungsbereich der Polizeiverordnung bestehenden Verhältnisse regelmäßig und typischerweise zu konkreten Gefahren für ein Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit führt.(10) Diese abstrakte Gefahr besteht hier darin, dass durch die große Anzahl verwilderter Haustauben eine abstrakte Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung hervorgerufen wird. Das Ungeziefer, das sich in den Nestern und im Gefieder der Tauben aufhält und in die Wohnungen eindringen kann, sowie die durch den Taubenkot und die Kadaver verendeter Tauben ausgehenden Gerüche stellen eine abstrakte Gefahr für die Bevölkerung dar.(11)
bb) Dabei ist immer auch zu prüfen, ob die Polizeiverordnung rechtsfehlerfrei zustande gekommen ist, sog. formelle Rechtmäßigkeit der Polizeiverordnung.(12)
d) Die Ermittlung der Rechtsgrundlage für die konkrete Untersagung der Fütterung (präventive Maßnahme in Form eines belastenden Verwaltungsaktes) bereitet immer wieder Probleme, denn die Polizeiverordnung besagt nur, dass es sich bei dem Verstoß gegen das Taubenfütterungsverbot um eine Ordnungswidrigkeit nach § ... der Polizeiverordnung handelt. Sie enthält aber keine ausdrückliche Ermächtigung zur Erteilung eines präventiven Taubenfütterungsverbotes. Wegen des in Art. 20 Abs. 3 GG festgeschriebenen sog. Gesetzesvorbehalts bedarf aber insbesondere der belastende Verwaltungsakt einer Rechtsgrundlage.
aa) Zutreffende Rechtsgrundlage ist demnach § 3 Abs. 1 SPolG i.V. m. der entsprechenden Festlegung des Taubenfütterungsverbotes in der Polizeiverordnung (Schutzgut der öffentlichen Sicherheit innerhalb des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 SPo1G, sog. objektive Rechtsordnung (13), hier als Verstoß gegen Festlegungen in der entspr. Polizeiverordnung).
bb) Für den Erlass dieses belastenden Verwaltungsaktes (in Form des präventiven Taubenfütterungsverbots) bedarf es dann nicht mehr des Nachweises einer tatsächlichen Gefahr. Der Verstoß gegen die Polizeiverordnung stellt die im Einzelfall bestehende Gefahr dar. (14)
III. Der konkrete Bußgeldbescheid (15)
1. In dem vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall hat die Stadt Saarbrücken als zuständige Verwaltungsbehörde nach den §§ 35 ff. OWiG das Ordnungswidrigkeitenverfahren mit dem Erlass eines Bußgeldbescheides abgeschlossen (§§ 65 ff. OWiG).
2. Gegen diesen Bußgeldbescheid hat die Betroffene dann bei der Ausgangsbehörde (Stadt Saarbrücken) Einspruch eingelegt (§ 67 Abs. 1 OWiG, Frist 2 Wochen ab Zustellung des Bußgeldbescheides).
Die Betroffene rügte dort die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
a) Hält die Behörde den Bußgeldbescheid weiterhin aufrecht (wie hier geschehen), so werden die Akten im sog. Zwischenverfahren an die Staatsanwaltschaft übersandt (§ 69 Abs. 3 OWiG), die anschließend die Akten dem Amtsrichter vorlegt (§ 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG) (16)
b) Das Amtsgericht (Abteilung für Bußgeldsachen, § 46 Abs. 7 OWiG) entschied im konkreten Fall nach Hauptverhandlung durch Urteil (§§ 71 ff. OWiG) und setzte eine Geldbuße in Höhe von 300 Euro fest.
Dabei ging das Gericht von einer Tat i. S. des § 19 OWiG aus und hat bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt, dass die Betroffene »vehement und nachhaltig gegen das Fütterungsverbot verstieß, obwohl sie von der nahezu gesamten Nachbarschaft um Unterlassung gebeten wurde.«
3. Gegen dieses amtsgerichtliche Urteil hat sie dann eine sog. Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht erhoben (§ 79 OWiG) (17), zuständig ist dort der Senat für Bußgeldsachen, § 46 Abs. 7 OWiG i.V.m. §§ 121, 122 GVG). Dabei rügte sie nur noch die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere verstoße das in der Polizeiverordnung festgelegte Taubenfütterungsverbot gegen den in der Verfassung verankerten Tierschutzgedanken (Art. 20 a GG) (18).
4. Die Feststellungen des OLG:
a) Das OLG hatte keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde.
b) Zur Begründetheit der Rechtsbeschwerde:
aa) Entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft ist der Bußgeldbescheid seinem Inhalt nach wirksam geworden.
Nach § 66 Abs. 1 Satz 3 OWiG muss der Bußgeldbescheid die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften enthalten ... Vorliegend erfüllt der Bußgeldbescheid die Anforderungen, die an ihn als Verfahrensvoraussetzung zu stellen sind auch in sachlich-zeitlicher Hinsicht, obwohl in ihm die einzelnen Tage, an denen die Betroffene Taubenfutter auslegte, nicht aufgeführt sind.
Da der Betroffenen in dem Bußgeldbescheid nicht eine Vielzahl von Einzeltaten, sondern lediglich eine Tat i. S. v. § 19 OWiG zur Last gelegt wird und sie auch nur wegen einer Tat verurteilt worden ist (Anm.: vom Amtsgericht), genügt zur hinreichenden Abgrenzung des Tatgeschehens die Angabe des Tatzeitraumes (Vorwurf jeglichen Zuwiderhandelns gegen das Taubenfütterungsverbot in der Zeit vom 13. 1. 2003 bis zum 8. 5. 2003)
Für die Annahme, dass die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vorgenommenen gleichartigen Futterhandlungen zu einer Handlungseinheit verbunden sind, sprechen nicht nur der sachliche, räumliche und zeitliche Zusammenhang der einzelnen natürlichen Handlungen, die einheitliche Motivationslage und die nach außen durchscheinende Zweckrichtung, die wild lebenden Tauben am Leben zu erhalten, sondern auch Wortlaut und Sinn und Zweck des bußgeldbewehrten Verbots. § 10 der maßgeblichen Polizeiverordnung stellt das „Füttern von Tauben als auch das „Auslegen von Futter, das von Tauben gerne aufgenommen wird, unter Geldbuße. Zumindest die zweite tatbestandliche Alternative enthält bereits ein gewisses Dauerelement.
Sinn und Zweck der Polizeiverordnung der Stadt Saarbrücken ist es zudem, die von den angelockten und am Ort verbleibenden Gesundheitsgefahren sowie Verunreinigungen von Straßen und Plätzen und Schäden an Gebäuden einzuschränken. Bei solchen auf Erzielung eines dauerhaften Gefährdungserfolges gerichteten Ordnungswidrigkeiten reicht es i. d. R. aus, den Tatzeitraum der Zuwiderhandlung zu bezeichnen, denn das zur Last gelegte Tatverhalten wird hierdurch hinreichend genau abgegrenzt ... «
bb) Zur Rechtmäßigkeit der Bußgeldvorschrift:
»Dieses Taubenfütterungsverbot verstößt insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht wie das Tierschutzgesetz oder das Grundgesetz und den in ihm enthaltenen Tierschutzgedanken. (19)» Das Tierschutzgesetz und der Tierschutzgedanke streben nämlich nicht an, Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern werden beherrscht von der dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Forderung, Tieren »nicht ohne vernünftigen Grund« vermeidbare Schmerzen, Schäden oder Leiden zuzufügen.
Vernünftig i. S. dieser Vorschrift ist danach jeder verständige und damit beachtliche oder triftige Grund, der einer Güter- oder Pflichtenabwägung standhält. Aus der Sicht des Verordnungsgebers (Anm.: Stadt Saarbrücken) konnte es vorliegend überwiegend vernünftig erscheinen, Gesundheitsgefahren für Menschen und Tiere, aber auch Schäden an Gebäuden und Verunreinigungen auf Gehwegen durch ein Fütterungsverbot auf Straßen und Plätzen einzuschränken. 20
Das Taubenfüttern wird zudem nicht generell, sondern nur an bestimmten öffentlichen Orten verboten ... «
IV. Anmerkungen
Der hier besprochenen Entscheidung des OLG Saarbrücken ist uneingeschränkt zuzustimmen.
1. Die Einführung des Art. 20 a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) mit dem Hinweis auf den »Tierschutz« ändert nichts am Vorrang der bedeutsameren Rechtsgüter wie Gesundheit des Menschen usw. in der Güter- und Interessenabwägung. Es liegt lediglich eine sog. »Fütterungsbeschränkung« vor. Die Betroffene wird insgesamt durch das auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtende Taubenfütterungsverbot in ihrer Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) nur unwesentlich eingeschränkt. »Praktizierte Tierliebe kann die Bekämpfüng verwilderter Tauben nicht hindern« (21)
2. Nach wie vor kann also das in einer Polizeiverordnung enthaltene Fütterungsverbot i.V. mit der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SPolG bei beharrlichen Zuwiderhandlungen auch zu einem präventiven Verbot genutzt werden.
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