I. Vorbemerkung 1
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat die Widerspruchsbehörde die gesetzliche Aufgabe, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen.
Der Widerspruchsbescheid hat eine doppelte Funktion: Zum einen schließt er das Rechtsbehelfsverfahren (Anm.: Widerspruchsverfahren) ab. Als verfahrensbeendende Entscheidung über den Widerspruch verbraucht er diesen Rechtsbehelf. Er beseitigt den Suspensiveffekt 2, der mit dem Widerspruch verbunden war (Anm.: § 80 Abs. 1 VwGO), trifft eine eigenständige Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens 3 und eröffnet den Weg zum Verwaltungsgericht. Zum anderen enthält der Widerspruchsbescheid eine Sachentscheidung über den Regelungsgegenstand des Ausgangsbescheids. Der Widerspruchs-bescheid bestätigt oder ändert diese Regelung. 4
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde ergibt sich aus § 73 Abs. 1 Satz 2 VwGO. 5 Die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde hat ihre Grundlage stets in den §§ 68, 73 VwGO.6 Die bundesrechtliche Vorschrift des § 73 VwGO wird dabei ergänzt durch die für den Behördenaufbau maßgeblichen organisationsrechtlichen Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts 7 — in Sachsen nunmehr durch das seit dem 1. 2. 2004 geltende Sächsische Verwaltungsorganisationsgesetz 8. Dieses Gesetz hat insbesondere das sog. „Regierungspräsidiums-Gesetz und das „Verwaltungsaufbauergänzungsgesetz des Freistaates Sachsen aufgehoben.
Bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Widerspruchs sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen (z. B. Form und Frist des erhobenen Widerspruchs, § 70 VwGO), zu denen auch die Beantwortung der Frage nach der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde im konkreten Widerspruchsverfahren gehört. 9
Die Entscheidung im Widerspruchsverfahren — d. h. der Erlass eines Widerspruchsbescheides — durch eine nicht zuständige Widerspruchsbehörde ist als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu bewerten. (10)
Nach Auffassung des BVerwG (11) kann dieser Verfahrensfehler aber geheilt werden, wenn die zuständige Widerspruchsbehörde später im gerichtlichen Verfahren erklärt, sie halte den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtmäßig. Denn damit sei dem Zweck des Vorverfahrens, der Widerspruchsbehörde nochmals Gelegenheit zur Überprüfung der Einwendungen des Widerspruchsführers zu geben, Rechnung getragen.
Dabei ist aber aus praktischer Sicht zu bedenken, dass die Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist (sog. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) (12). Die Verwaltung ist demnach verpflichtet, auch die Zuständigkeitsregelungen im Widerspruchsverfahren zu beachten, d. h. nur die zuständige Widerspruchsbehörde hat den Widerspruch zu bearbeiten.
II. Prüfungsaufbau (13)
Die Frage nach der zuständigen Widerspruchsbehörde bereitet sowohl in der Praxis als auch in einer Klausur erhebliche Probleme, die noch dadurch verstärkt werden, dass in der Literatur durchweg empfohlen wird, grundsätzlich die sog. „nächsthöhere Behörde gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO als die zuständige Widerspruchsbehörde anzusehen.(14). Aber nur im Zweifel ist zuständige Widerspruchsbehörde die im Behördenaufbau übergeordnete Behörde.(15)
1. Spezialvorschrift bei Selbstverwaltungsangelegenheiten
Richtigerweise beginnt deshalb die Prüfung bei § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO als der Spezialvorschrift gegenüber § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 VwGO; die Spezialregelung verdrängt die allgemeine Regel. (16) Bejaht man in der Sache eine „Selbstverwaltungsangelegenheit, ist § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO anzuwenden.
Begriff der Selbstverwaltungsangelegenheiten:
Selbstverwaltungsangelegenheiten i. S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO sind nur die Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde, nicht auch Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises oder Aufgaben nach Weisung.(17) Nach der Sächsischen Gemeindeordnung sind dies die Aufgaben nach § 2 Abs. 1, während die sog. Pflichtaufgaben in § 2 Abs. 2 und die Pflichtaufgaben nach Weisung in § 2 Abs. 3 geregelt sind.
Demnach sind typische Selbstverwaltungsaufgaben z. B. der Bescheid über die Erhebung der Hundesteuer (Rechtsgrundlage ist eine gemeindliche Satzung, § 4 GemO) oder der Ausschluss eines Bewerbers von einem von der Gemeinde veranstalteten Volksfest.
2. Sonderregelung für die anderen Fälle
Liegt eine wie vor zu definierende „Selbstverwaltungsangelegenheit nicht vor, ist § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO als Sonderregelung gegenüber § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 zu prüfen. § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO stellt pauschal auf die sog. „nächsthöhere Behörde (als zuständige Widerspruchsbehörde) ab, während § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 die Frage nach der zuständigen Widerspruchsbehörde auf den Fall konkretisiert, dass „die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, im Verhältnis zur Ausgangsbehörde, die den mit Widerspruch angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat. Die Tatbestandsmerkmale der Ziffer 2 sind wesentlich enger gefasst als bei Ziffer 1, der sog. „Generalklausel im Zusammenhang mit der Ermittlung der zuständigen Widerspruchsbehörde. § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO ist somit eine Spezialregelung gegenüber § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO.
Ist die nächsthöhere Behörde gegenüber der sog. Ausgangsbehörde eine oberste Bundes- oder Landesbehörde, findet § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Anwendung.
3. Der Auffangtatbestand
Verneint man die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, verbleibt es als „Auffangtatbestand (18) letztlich bei der Ziffer 1, also bei der sog. „nächsthöheren Behörde gegenüber der im Widerspruchsverfahren für den Erlass eines Widerspruchsbescheides zuständigen Behörde (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. mit Satz 1 VwGO).
„Nächsthöhere Behörde ist diejenige, die der Ausgangsbehörde nach dem jeweils einschlägigen Organisationsrecht des Landes (oder des Bundes) unmittelbar übergeordnet ist. (19)
III. Fallbeispiele
Anhand konkreter Fälle wird nunmehr die zuständige Widerspruchsbehörde in Sachsen „ermittelt 20, wobei das vorgenannte Prüfungsschema (wie unter II. dargelegt) zugrunde gelegt wird.
Fall 1: Hundesteuerbescheid der Stadt Zschopau
Herbert Tierfreund ist Halter eines Dackels und wohnt in Zschopau. Nunmehr erhält er einen Bescheid über Hundesteuer für das Jahr 2004 in Höhe von 50 Euro. Er fühlt sich für die Tierhaltung „bestraft und erhebt Widerspruch.
1. Die Ausgangsbehörde
So genannte Ausgangsbehörde für den Hundesteuerbescheid ist die Stadt Zschopau. Aufgrund einer gemeindlichen Satzung (§ 4 GemO) verlangt die Stadt von Hundehaltern eine Hundesteuer, konkret jetzt von Herbert Tierfreund. (21)
2. Die Widerspruchsbehörde 22
Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO ist die „Selbstverwaltungsbehörde in Selbstverwaltungsangelegenheiten selbst Widerspruchsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
a) Spezialvorschrift bei Selbstverwaltungsangelegenheiten:
Die Erhebung von Hundesteuer ist eine Selbstverwaltungsangelegenheit entsprechend der Finanzautonomie der Gemeinde (siehe oben). Auch der Erlass einer Satzung als Rechtsgrundlage für den Hundesteuerbescheid spricht für eine Selbstverwaltungsangelegenheit.
b) durch Gesetz etwas anderes bestimmt:
Demnach ist die Stadt Zschopau selbst Widerspruchsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird. In Sachsen ist § 27 Abs. 1 des „Gesetzes über die Justiz im Freistaat Sachsen, Sächsisches Justizgesetz (23), zu beachten. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
„Den Bescheid über den Widerspruch gegen den Verwaltungsakt einer Gemeinde, die der Rechtsaufsicht des Landratsamtes untersteht, erlässt in Selbstverwaltungsangelegenheiten das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde. Die Nachprüfung des Verwaltungsaktes unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bleibt der Gemeinde vorbehalten. (24)
c) Die Tatbestandsvoraussetzungen:
Es ist nunmehr zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Justizgesetzes im konkreten Fall vorliegen.
— Eine Selbstverwaltungsangelegenheit liegt vor, wie oben dargelegt (Hundesteuerbescheid).
— Ebenso unproblematisch ist das Vorliegen eines Verwaltungsaktes (§ 35 Satz 1 VwVfG), bei diesem Hundesteuerbescheid 25 zu bejahen.
— Zu prüfen ist abschließend, ob die Stadt Zschopau der Rechtsaufsicht eines Landratsamtes untersteht.
Nach § 112 Abs. 1 GemO unterstehen „kreisangehörige Gemeinden der Rechtsaufsicht des Landratsamtes als untere Verwaltungsbehörde (siehe § 2 Abs. 5 Landkreisordnung).
Falls Zschopau eine kreisangehörige Gemeinde ist, untersteht diese Gemeinde (Stadt) der Rechtsaufsicht des Landratsamtes mit der Folge, dass der Tatbestand des § 27 Abs. 1 Justizgesetz zu bejahen ist. Dann wäre das zuständige Landratsamt (hier: Mittlerer Erzgebirgskreis in Marienberg) die zuständige Widerspruchsbehörde.
Die Gemeindeordnung (5 3 Abs. 1 GemO) unterscheidet zwischen kreisangehörigen Gemeinden und kreisfreien Gemeinden (Städten). Zschopau ist eine sog. „Große Kreisstadt nach dem „Gesetz über die Großen Kreisstädte26 und somit keine „Kreisfreie Stadt. Den „Katalog der kreisfreien Städte kann man der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung vom 14. 1. 2004 zur räumlichen Gliederung der Regierungsbezirke 27 entnehmen, in welchem Zschopau nicht aufgeführt ist, weshalb man immer auf diesem Wege die Frage beantworten kann, ob eine Gemeinde kreisangehörig ist oder nicht.
Nachdem nunmehr feststeht, dass Zschopau eine kreisangehörige Gemeinde (Stadt) ist, ergibt sich daraus, dass das Landratsamt des Mittleren Erzgebirgskreises die zuständige Widerspruchsbehörde im konkreten Fall ist.
— Zu beachten ist noch § 27 Abs. 1 Satz 2 des Sächsischen Justizgesetzes, wonach „die Nachprüfung des Verwaltungsaktes (Anm.: in Selbstverwaltungsangelegenheiten) unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit der Gemeinde vorbehalten bleibt. Die Kontrollbefugnis der Widerspruchsbehörde (hier: Landratsamt) ist demnach auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. 28 Die Frage der Zweckmäßigkeit entscheidet die Selbstverwaltungsbehörde als Ausgangsbehörde (hier: Stadt Zschopau) im Rahmen des Abhilfeverfahrens nach § 72 VwGO. 29
Fall 2: Hundesteuerbescheid der Stadt Chemnitz
Amalie Tierlieb wohnt in Chemnitz und ist Halterin eines Pudels. Nachdem sie einen Hundesteuerbescheid über 50 Euro für das Jahr 2004 erhält, erhebt sie bei der Stadt Chemnitz Widerspruch.
1. Die Ausgangsbehörde
Siehe die entsprechenden Ausführungen zu Fall 1.
2. Die Widerspruchsbehörde: Siehe die entsprechenden Darlegungen bei Fall 1.
Jedoch ist hier wie bei Fall 1 zu prüfen, ob im konkreten Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 des Sächsischen Justizgesetzes vorliegen.
Insbesondere ist zu prüfen, ob die Stadt Chemnitz der Rechtsaufsicht des Landratsamtes unterliegt. Nur wenn dies zutrifft, liegen insgesamt die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Justizgesetzes vor. Verneint man den Tatbestand des § 27 Abs. 1 Satz 1 „Justizgesetz, hat dies zur Folge, dass die Stadt Chemnitz Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ist (sog. Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde).
Wie sich aus § 1 Abs. 1 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur räumlichen Gliederung der Regierungsbezirke 30 ergibt, ist die Stadt Chemnitz (im Gegensatz zu Zschopau) aber eine Kreisfreie Stadt, somit keine sog. kreisangehörige Gemeinde. Die Stadt Chemnitz untersteht deshalb nicht der Rechtsaufsicht des Landratsamtes, wie es § 27 Abs. 1 Satz 1 „Justizgesetz vorsieht.
Demnach liegt der Tatbestand des § 27 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Justizgesetzes nicht vor, weshalb die sonderrechtliche (landesrechtliche) Regelung, die ein Abweichen von der grundsätzlichen Festlegung des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGÖ erlaubt, nicht anzuwenden ist.
Der Auffangtatbestand
Es verbleibt bei § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, 1. Halbsatz, wonach die Stadt Chemnitz sowohl Ausgangs- als auch Widerspruchsbehörde im konkreten Fall ist.
Erkenntnis aus Fallbeispiel 2
Somit zeigt sich an diesem Fallbeispiel Folgendes: Bei gleichem Sachverhalt (Bescheid über die Erhebung der Hundesteuer mit anschließendem Widerspruch des Adressaten) hat man es mit zwei unterschiedlichen Widerspruchsbehörden zu tun: im Fall 1 das Landratsamt als Widerspruchsbehörde, weil Ausgangsbehörde in der „Selbstverwaltungsangelegenheit eine kreisangehörige Gemeinde (oder Stadt) ist, im Fall 2 ist die Ausgangsbehörde (in Selbstverwaltungsangelegenheiten) selbst Widerspruchsbehörde, weil sie eine Kreisfreie Stadt ist.
Zugleich erkennt man, dass die unter II. angesprochene Prüfungsreihenfolge zutreffend ist, wonach vorrangig § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO bei der Frage nach der zuständigen Widerspruchsbehörde zu prüfen ist.
Hätte man nämlich im „Hundesteuerfall ohne Beachtung der vorrangigen Sonderregelung der Nr. 3 (Selbstverwaltungsangelegenheit) die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 (Generalklausel, nächsthöhere Behörde als Widerspruchsbehörde) angewandt, hätte man nicht erkannt, dass beim Erlass eines Hundesteuerbescheides durch die Stadt Chemnitz (Fall 2) eine Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde besteht.
Fall 3: Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Landratsamt Freiberg:
Peter Eilig wohnt in Freiberg. Da er sich nicht an die Verkehrsvorschriften hält, „sammelt er innerhalb weniger Jahre 20 Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg (z. B. Ordnungswidrigkeiten wg. Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, Nichtbeachten des Rotlichts einer Lichtsignalanlage). Daraufhin entzieht ihm die Behörde nach Anhörung die Fahrerlaubnis. Eilig ist empört und erhebt Widerspruch. ‚
1. Die Ausgangsbehörde
Zuständige Behörde für die Entziehung der Fahrerlaubnis (sog. Ausgangsbehörde, die den belastenden Verwaltungsakt, der jetzt mit Widerspruch angegriffen wird, erlassen hat) ist das Landratsamt Freiberg nach § 73 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV, Bundesrecht (32) i. V. mit § 2 Abs. 5 der Landkreisordnung (Landratsamt als untere Verwaltungsbehörde nach Landesrecht). 33
Als diese allgemeinen Vorschriften konkretisierende landesrechtliche Regelung ist nunmehr noch das „Gesetz zur Bestimmung der Zuständigkeiten der unteren Verwaltungsbehördenauf dem Gebiet des Straßenverkehrswesens, Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz 34 zu beachten. § 4 dieses Gesetzes lautet wie folgt:
„Zuständigkeiten und Weisungsrecht
(1) Straßenverkehrsbehörden i. S. des § 44 StVO und zuständige Behörde i. S. des § 73 1 FeV und des § 68 1 StVZO sind
— das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit als oberste Landesbehörde,
— die Regierungspräsidien als höhere Verwaltungsbehörden,
— die Landkreise und Kreisfreien Städte als untere Verwaltungsbehörden.
(2) Die den Landkreisen, Kreisfreien Städten und Großen Kreisstädten übertragenen Aufgaben sind Weisungsaufgaben. Fachaufsichtsbehörden sind die in Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Behörden. Das Weisungsrecht ist unbeschränkt.
2. Die Widerspruchsbehörde 35
a) Spezialvorschrift bei Selbstverwaltungsangelegenheiten:
Eine Selbstverwaltungsangelegenheit (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Fahrerlaubnisrecht als besonderes Polizeirecht (Gefahrenabwehr, Fernhalten ungeeigneter Verkehrsteilnehmer vom öffentlichen Straßenverkehr 36) gehört zu den Pflichtaufgaben nach Weisung (§ 2 Abs. 3 GemO, dies ergibt sich auch aus dem vorgenannten „Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz, § 4 Abs. 2) und ist keine Sache des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde, § 2 Abs. 1 GemO.
Die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO scheidet somit mangels Vorliegen einer „Selbstverwaltungsangelegenheit im Falle einer Entziehung der Fahrerlaubnis aus.
b) Sonderregelung für die anderen Fälle:
Demnach ist jetzt die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO zu prüfen.
Dann ist Widerspruchsbehörde das Landratsamt Freiberg selbst, wenn (gegenüber dem Landratsamt Freiberg) die „nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist. Grund für diese gesetzliche Festlegung einer Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde (die es auch im Falle einer Selbstverwaltungsangelegenheit geben kann, siehe oben Fall 2) ist die Entlastung der Verwaltungsspitze und das Fernhalten von Einzelfallentscheidungen. 37
— Da das Landratsamt eine Kommunalbehörde 38 ist, muss die Frage nach der nächsthöheren Behörde als oberste Bundesbehörde nicht weiter vertieft werden.
— Nächsthöhere Behörde (gegenüber dem Landratsamt Freiberg) könnte aber eine oberste Landesbehörde sein. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Prüfung kann im Einzelfall durchaus Schwierigkeiten bereiten. 39 Die nachfolgenden Prüfungsschritte bestätigen diese Meinung:
aa) Nachdem nunmehr das „Sächsische Verwaltungsorganisationsgesetz gilt, bietet es sich an, diese Frage mit einem Blick in dieses Gesetz zu beantworten. Das ist aber bereits deshalb problematisch, weil es sich bei dem Landratsamt Freiberg um die Behörde des Landkreises Freiberg handelt und der Landkreis selbst eine kommunale Körperschaft ist. Es handelt sich bei dem Landkreis um einen „Träger der Selbstverwaltung i. S. des Art. 82 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen. Deshalb enthält das Sächsische Verwaltungsorganisationsgesetz zu den Behörden der „Träger der Selbstverwaltung keine Festlegungen, denn es befasst sich nur mit Staatsbehörden außerhalb der kommunalen Selbstverwaltung.
Lediglich in § 1 Abs. 1 der bereits genannten „Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur räumlichen Gliederung der Regierungsbezirke (aufgrund von § 6 Abs. 1 Satz 5 des Verwaltungsorganisationsgesetzes erlassen) wird der Landkreis Freiberg als ein zum Regierungsbezirk Chemnitz gehörender Landkreis benannt (räumliche Zuordnung zu einem der drei Regierungsbezirke im Freistaat Sachsen).
bb) Fahrerlaubnisrecht ist, wie bereits erwähnt, besonderes Polizeirecht. Eventuell ermöglicht ein Blick in die Regelungen des allgemeinen Polizeirechts im Zusammenhang mit der Über- und Unterordnung von Polizeibehörden einen Lösungsansatz. Denn das StVG als besonderes Polizeirecht des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) bestimmt nicht konkret die zuständigen Behörden, das ist Aufgabe des jeweiligen Bundeslandes (Art. 84 Abs. 1 GG). Der Rückgriff in das allgemeine Polizeirecht (als Landesrecht) ist deshalb vertretbar.
Der Behördenaufbau im Sächsischen Polizeirecht (allgemeines Polizeirecht des Landes) ergibt sich aus § 64 Abs. 1 des Sächsischen Polizeigesetzes. 40 Dort werden in § 64 Abs. 1 Satz 3 SächsPolG unter den „allgemeinen Polizeibehörden auch die Kreispolizeibehörden benannt, das sind die Landkreise und Kreisfreien Städte, somit auch der Landkreis Freiberg. (41)
cc) Nächsthöhere Behörde gegenüber dem Landkreis Freiberg ist nach § 64 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG die „höhere Verwaltungsbehörde als Landespolizeibehörde und nicht die obersten Landespolizeibehörden, die in § 64 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG benannt sind (z. B. Staatsministerium des Innern oder Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit).
Zu dieser Lösung kommt man jetzt aber auch auf einfacherem Wege nach In-Kraft-Treten des bereits genannten „Straßenverkehrszuständigkeitsgesetzes, denn dort wird (sondergesetzlich, mit Vorrang zu prüfen vor dem SächsPolG) in § 4 Abs. 1 Satz 2 als nächsthöhere Behörde (gegenüber den Landkreisen und Kreisfreien Städten) das Regierungspräsidium genannt.
Demnach ist nächsthöhere Behörde gegenüber dem Landratsamt Freiberg keine „oberste Landesbehörde. Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu.
c) Der Auffangtatbestand
Somit ist abschließend die „Generalklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO zu prüfen, wonach die nächsthöhere Behörde (gegenüber dem Landratsamt Freiberg) die zuständige Widerspruchsbehörde ist.
Nach „altem Recht d. h. vor Geltung des „Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetzes konnte diese Frage relativ einfach beantwortet werden. 42 Denn nach dem sog. „Regierungspräsidiumsgesetz konkret § 3 Abs. 2 (durch das Verwaltungsorganisationsgesetz jetzt aufgehoben), waren die Regierungspräsidien, „soweit nichts anderes bestimmt, höhere Verwaltungsbehörde i. S. bundes- oder landesrechtlicher Vorschriften.
Dazu hat aber das neue Verwaltungsorganisationsgesetz nunmehr eine andere Festlegung getroffen. 43 Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 dieses Gesetzes sind die Regierungspräsidien nur noch „höhere Verwaltungsbehörde i. S. bundesrechtlicher Vorschriften, es fehlt die Erwähnung der entsprechenden landesrechtlichen Regelungen (wie im inzwischen aufgehobenen RP-Gesetz, § 3 Abs. 2).
Demnach ist unklar, wer jetzt in Sachsen nach landesrechtlicher Vorschrift (§ 64 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG) die „höheren Verwaltungsbehörden als Landespolizeibehörden sind, denn konkret ist das Regierungspräsidium in § 64 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG nicht benannt. Nach alter Rechtslage (zur Zeit der Geltung des RP-Gesetzes) war diese Festlegung im SächsPolG nicht erforderlich, weil § 3 Abs. 2 des RP-Gesetzes die pauschale Definition der Regierungspräsidien als „höhere Verwaltungsbehörden auch i. S. landesrechtlicher Vorschriften vornahm.
Die nunmehr vorliegende Gesetzeslücke ist auszufüllen (44). Es bietet sich die hilfsweise (oder analoge) Anwendung der Grundsätze der landesrechtlichen Regelungen an, die ausdrücklich die „Regierungspräsidien als „höhere Verwaltungsbehörden (i. 5. des Landesrechts) benennen, um zumindest vorläufig diese Gesetzeslücke zu schließen. 45
Folgt man (zumindest für eine Übergangszeit bis zur gesetzlichen Klarstellung) diesem Lösungsansatz, so ist das Regierungspräsidium Chemnitz nächsthöhere Behörde gegenüber dem Landratsamt Freiberg (im konkreten Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis), und zwar abzuleiten aus der (hilfsweisen oder analogen) Anwendung des § 64 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG.
Die vorgenannte bisher fehlende gesetzliche Klarstellung im SächsPolG liegt jetzt vor, und zwar sowohl als eine allgemein anzuwendende Klärung der Rechtslage entsprechend den Vorschriften des SächsPolG als auch als spezialgesetzliche Klärung in Straßenverkehrssachen.
Mit dem 3. Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen vom 4.5.2004 wurde § 82 des Sächsischen Polizeigesetzes wie folgt gefasst:
§ 82, Höhere Verwaltungsbehörden: Höhere Verwaltungsbehörden i. S. dieses Gesetzes sind die Regierungspräsidien.
Die angesprochene bisherige Gesetzeslücke in § 64 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG wird nunmehr durch § 82 SächsPolG geschlossen, wonach die Regierungspräsidien die höheren Verwaltungsbehörden sind.
Das „Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz des Freistaates Sachsen hat u. a. für den Bereich des Fahrerlaubniswesens (der im konkreten Fall zu erörtern ist) ebenfalls Klarheit in der Frage nach der Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde geschaffen. Denn wie sich aus § 4 Abs. 1 des „Straßenverkehrszuständigkeitsgesetzes ergibt, ist das Regierungspräsidium die „nächsthöhere Behörde gegenüber dem Landkreis Freiberg.
Es verbleibt demnach abschließend bei der „Generalklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, also bei der so genannten nächsthöheren Behörde gegenüber dem Landratsamt Freiberg als Widerspruchsbehörde (im konkreten Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis, bes. Polizeirecht) — dies ist, wie dargelegt, nach allgemeinem Polizeirecht oder nach den besonderen Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Straßenverkehrsrecht das Regierungspräsidium Chemnitz.
Fall 4: Widerruf einer Fahrschulerlaubnis:
Alfred Sommer betreibt in Freiberg eine Fahrschule und ist deshalb Inhaber einer Fahrschulerlaubnis nach dem Fahrlehrergesetz (Bundesrecht). Wegen wiederholter Pflichtverstöße, insbes. gegen die gesetzlich festgelegten Aufzeichnungspflichten als Inhaber einer Fahrschulerlaubnis, widerruft das Regierungspräsidium Chemnitz die vorher erteilte Fahrschulerlaubnis. 47
Sommer erhebt Widerspruch.
1. Die Ausgangsbehörde
Zuständige Ausgangsbehörde für den Widerruf (und auch für die vorher erteilte Fahrschulerlaubnis) ist das Regierungspräsidium Chemnitz gemäß § 32 Abs. 1 des Fahrlehrergesetzes (Bundesrecht) i. V. mit der VO der Sächsischen Staatsregierung über die Zuständigkeiten nach dem Fahrlehrerwesen. 48
Es handelt sich hierbei um eine landesrechtliche Zuständigkeitsregelung (zur sog. sachlichen Zuständigkeit) mittels Verordnung (Gesetz im materiellen Sinn, nicht im formellen Sinne 49), weil der Bundesgesetzgeber die Verwaltungszuständigkeiten nicht festlegen darf, das ist nämlich Ländersache. 50
2. Die Widerspruchsbehörde
a) Eine Selbstverwaltungsangelegenheit (5 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Fahrlehrerrecht ist insbesondere das Polizeirecht (Gefahrenabwehr, Zulassung von geprüften und zuverlässigen Fahrlehrern zur Ausbildung von Fahrschülern als den zukünftigen Verkehrsteilnehmern) und somit nicht dem Kreis von Selbstverwaltungsangelegenheiten zuzuordnen.
Hinzu kommt noch, dass das Regierungspräsidium keine sog. Selbstverwaltungskörperschaft (wie z. B. die Gemeinde oder der Landkreis) ist, das Regierungspräsidium ist eine Behörde der unmittelbaren Staatsverwaltung nach § 6 des Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetzes (d. h. eine Behörde des Freistaates Sachsen).
b) Nunmehr ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO vorliegen.
Danach ist das Regierungspräsidium selbst Widerspruchsbehörde, wenn dem Regierungspräsidium gegenüber die nächst-höhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist.
— Nächsthöhere Behörden gegenüber dem Regierungspräsidium Chemnitz sind, wie oben (unter Fall 3) dargelegt, die zuständigen Staatsministerien als oberste Polizeibehörden, § 64 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG.
— Nach dem neuen „Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetz kann man jetzt aber auch das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Regierungspräsidien und den sog. obersten Staatsbehörden unmittelbar aus diesem Gesetz nachvollziehen, ohne zur „Hilfskonstruktion über § 64 Abs. 1 SächsPolG (wie im Fall 3 geschehen) greifen zu müssen. Die komplette Anwendung des Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetzes ist hier (im Gegensatz zu den Fällen 1 und 2) möglich, weil es sich sowohl bei den Regierungspräsidien als auch bei den obersten Staatsbehörden um „Staatsbehörden i. S. des § 1 des Verwaltungsorganisationsgesetzes handelt.
— Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsorganisationsgesetzes sind die Regierungspräsidien dem Staatsministerium des Innern nachgeordnet. Das Staatsministerium des Innern ist nach § 3 des Verwaltungsorganisationsgesetzes eine „oberste Staatsbehörde.
Weil gegenüber dem Regierungspräsidium (als Ausgangsbehörde des belastenden Verwaltungsaktes nach dem Fahrlehrergesetz) die nächsthöhere Behörde eine oberste Landesbehörde ist (konkret das Staatsministerium des Innern), findet die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO Anwendung.
Demnach ist im konkreten Fall das Regierungspräsidium Chemnitz sowohl Ausgangs- als auch Widerspruchsbehörde (Fall der Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde)(51) Hätte man hier die „Generalklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 angewendet, so wäre das Staatsministerium des Innern als zuständige Widerspruchsbehörde anzusehen gewesen, ein komplett falsches Ergebnis angesichts des Vorrangs der Prüfung der Sondernorm des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO (mit Vorrang vor der „Generalklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO).
Bei Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ist noch anzumerken, dass zu fragen ist, in welcher Form die Entscheidung des Regierungspräsidiums im konkreten Fall zu erfolgen hat. Denkbar ist entweder eine Entscheidung im Rahmen eines Abhilfeverfahrens (§ 72 VwGQ) oder der Erlass eines Widerspruchsbescheids nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
— Grundsätzlich folgt der Erhebung des Widerspruchs das Abhilfeverfahren bei der Ausgangsbehörde nach, bevor sich die Widerspruchsbehörde (im Falle der Nichtabhilfe durch die Ausgangsbehörde) mit dem Widerspruch befasst und einen Widerspruchsbescheid erlässt. § 72 VwGO geht aber von dem Regelfall aus, dass die Ausgangsbehörde nicht mit der Widerspruchsbehörde identisch ist (siehe z. B. Fälle 1 und 3) und stellt sicher, dass die Ausgangsbehörde im Abhilfeverfahren (als 1. Stufe des Widerspruchsverfahrens) ihre Entscheidung selbst nochmals überprüft.
— Im Falle der Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde findet aber ein Abhilfeverfahren nach § 72 VwGO nicht statt, weil diese Regelung auf das Tätigwerden zweier selbstständiger Entscheidungsträger zugeschnitten ist. Es ergeht immer ein Widerspruchsbescheid, ein vorgeschaltetes Abhilfeverfahren ist überflüssig. 52
Abschließend kann man mit Recht fragen, welchen Sinn ein derartiges Widerspruchsverfahren bei der besprochenen Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde noch macht. In der Praxis kommt es selten vor, dass in einem derartigen Fall der Widerspruchsbescheid im Ergebnis anders lautet als der Ausgangsbescheid (wegen der Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde).
So hat das Land Sachsen-Anhalt nunmehr gesetzlich festgelegt, dass in den Fällen des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 ein Widerspruchsverfahren entfällt, wenn diejenige Behörde, die einen Verwaltungsakt erlassen oder den Erlass eines Verwaltungsaktes abgelehnt hat, auch den Widerspruchsbescheid zu erlassen hätte. 53
Fall 5: Kostenbescheid der Polizeidirektion Aue wegen Abschleppen eines Kraftfahrzeugs
Helmut Müller stellt sein Fahrzeug in einer unübersichtlichen Kurve am Ortsausgang von Aue ab. Als er das Fahrzeug verlässt, fordert ihn der zufällig vorbeikommende Polizeivollzugsbeamte Schmitt auf, das Fahrzeug wegen der Gefahrenlage unverzüglich zu entfernen. Schmitt erklärt dem Müller auch, dass er das Fahrzeug abschleppen lassen werde, falls Müller der Aufforderung zum Wegfahren nicht nachkomme.
Müller teilt dem Polizeibeamten mit, dass er keine Gefahrenlage sehe, außerdem habe er keine Zeit, da er dringende Geschäfte zu erledigen habe. Müller entfernt sich anschließend von seinem Fahrzeug.
Danach wird das Fahrzeug auf Veranlassung des Polizeibeamten Schmitt abgeschleppt, später ergeht dann eine Kostenforderung der Polizeidirektion Aue in Höhe von 100 Euro an Müller in Form eines Leistungsbescheides. (54)‚
Müller erhebt gegen diese ihm auferlegte Kostentragung Widerspruch. 55
1. Die Ausgangsbehörde
Ausgangsbehörde, also die Behörde, die den Kostenbescheid erlassen hat, ist hier die Polizeidirektion Aue. Bei der Abschleppmaßnahme im konkreten Fall handelte es sich um eine Ersatzvornahme nach § 24 Abs. 1 SächsVwVG. 56 Die Kostenforderung resultiert dann aus § 24 Abs. 3 SächsVwVG (Kosten der Ersatzvornahme), sie ist geltend zu machen von der Vollstreckungsbehörde nach § 4 Abs. 1 Satz 3 SächsVwVG. Vollstreckungsbehörde und Ausgangsbehörde (für den Erlass des Verwaltungsaktes „Aufforderung zum Wegfahren) ist hier die Polizeidirektion Aue, bei welcher der Polizeibeamte Schmitt tätig ist (sog. Polizeidienststelle nach § 71 Abs. 1 Satz 5 SächsPolG i. V. mit § 73 SächsPolG und § 6 Abs. 1 der Sächsischen Polizeiorganisationsverordnung vom 23. 8. 2001(57)
Im konkreten Fall handelte der Polizeivollzugsdienst (§ 59 Nr. 2 SächsPolG) durch einen Polizeibediensteten (Vollzugspolizist) und nicht eine Polizeibehörde nach § 59 Nr. 1 SächsPolG (sog. Polizeiverwaltungsbehörden)
Die konkrete Zuständigkeit des Polizeibediensteten für die der Abschleppmaßnahme vorausgegangene Aufforderung zum Wegfahren (Verwaltungsakt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO beachten !) ergibt sich aus § 60 Abs. 2 SächsPolG (Eilzuständigkeit, sachliche Zuständigkeit der Vollzugspolizei) i. V. mit § 44 Abs. 2 Satz 2 StVO (Bundesrecht). 58
Aus dieser sachlichen Zuständigkeit für die Gefahrenabwehrmaßnahme „Aufforderung zum Wegfahren heraus (der der Vollstreckung zugrunde liegende, vor der Vollstreckung ergangene sog. Grund-Verwaltungsakt) ergibt sich die Zuständigkeit des Polizeibediensteten für die daraus resultierende anschließende Vollstreckungsmaßnahme „Abschleppen in Form der Ersatzvornahme (weil der Betroffene der Aufforderung des Polizeibeamten zum Wegfahren nicht nachkam, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO als Vollstreckungstitel i. S. von § 2 SächsVwVG), § 4 Abs. 1 Satz 3 SächsVwVG, und die spätere Zuständigkeit für den Erlass des jetzt mit Widerspruch angegriffenen Kostenbescheids, § 24 Abs. 3 i. V. mit § 4 Abs. 1 Satz 2 SächsVwVG (Kostenforderung wegen der durchgeführten Ersatzvornahme als sog. Leistungsbescheid i. S. der §§ 12 ff. SächsVwVG). 59
2. Die Widerspruchsbehörde
Bei Widersprüchen gegen Verwaltungsakte des Polizeivollzugsdienstes (hier geht es nur noch um den Leistungsbescheid über die Kosten nach § 24 Abs. 3 SächsVwVG, nicht um die Aufforderung zum Wegfahren und auch nicht um den Abschleppvorgang) gilt die landesrechtliche Sonderregelung nach § 26 des Sächsischen Justizgesetzes (eine Selbstverwaltungsangelegenheit nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO scheidet aus, weil eine staatliche Behörde, nämlich die Vollzugspolizei, gehandelt hat; nächsthöhere Behörde gegenüber der PD Aue ist keine oberste Landesbehörde, sondern das Polizeipräsidium Chemnitz nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Sächsischen Polizeiorganisationsverordnung, somit scheidet auch die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 VwGO aus).
Es verbleibt bei § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, sog. nächsthöhere Behörde als Widerspruchsbehörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird.
Bei allen Verwaltungsakten einer Polizeidienststelle (wie hier, Kostenforderung der PD Aue) findet im Widerspruchsverfahren § 26 des „Sächsischen Justizgesetzes Anwendung 60. Diese Vorschrift mit der Überschrift „Widerspruchsbehörde bei Verwaltungsakten einer Polizeidienststelle lautet wie folgt:
„Nächsthöhere Behörde i. S. des § 73 1 2 Nr. 1 VwGO ist bei Verwaltungsakten des Polizeivollzugsdienstes auf Grundlage von § 60 II SPolG... das Regierungspräsidium. Im Übrigen entscheidet über den Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt einer dem Polizeipräsidium nachgeordneten Polizeidienststelle das Polizeipräsidium.
Das Gesetz unterscheidet demnach einerseits zwischen den sog. Eil-Verwaltungsakten des Polizeivollzugsdienstes nach § 60 Abs. 2 SächsPolG (siehe auch § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO) und bestimmt in Satz 1 das Regierungspräsidium als Widerspruchsbehörde. Andererseits legt Satz 2 fest, dass bei den sonstigen Verwaltungsakten (also bei Verwaltungsakten, bei denen „ein sofortiges Tätigwerden nach § 60 Abs. 2 SächsPolG nicht erforderlich erscheint) das Polizeipräsidium die zuständige Widerspruchsbehörde ist. (61)
Anmerkung: Durch das 3. Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen vom 4. 5. 2004 (62) ist Satz 2 des § 26 des Justizgesetzes jetzt, wie folgt, gefasst worden
„Im Übrigen entscheidet über den Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt einer Pol izeidirektion diese selbst.
Bei den sog. Eil-Verwaltungsakten nach § 60 Abs. 2 SächsPolG ist demnach sog. Ausgangsbehörde der Polizeivollzugsdienst, Widerspruchsbehörde ist das Regierungspräsidium als Polizeibehörde, konkret als eine allgemeine Polizeibehörde i. S. von § 64 Abs. 1 SächsPolG. Demgegenüber verbleibt es bei den „normalen Verwaltungsakten dabei, dass sowohl Ausgangs- als auch Widerspruchsbehörde eine Polizeidienststelle als eine „Behörde des Polizeivollzugsdienstes (§ 71 SächsPolG) ist.
Demnach ist nun zu prüfen, um welche Art von Verwaltungsakt es sich hier handelt, nach § 26 Satz 1 oder nach Satz 2. Zu beachten ist dabei, dass Widerspruch gegen die Kostenforderung erhoben wurde, nicht gegen die Aufforderung zum Wegfahren (sog. Grund-Verwaltungsakt) und auch nicht gegen das sich anschließende Abschleppen (als sich an den Grund-Verwaltungsakt anschließende Vollstreckungsmaßnahme).
Die dem Abschleppen nachfolgende Kostenforderung (hier in Form eines Leistungsbescheides nach § 24 Abs. 3 VwVG) ist in keinem Fall eine sog. Eilmaßnahme der Vollzugspolizei nach § 26 Satz 1 Justizgesetz. Es handelt sich um einen „normalen Verwaltungsakt im Anschluss an den „Eil-Verwaltungsakt (gemäß § 60 Abs. 2 SächsPolG) nach § 26 Satz 2 Justizgesetz (in der oben dargestellten Neufassung) mit der Zuständigkeit der Polizeidirektion Aue als Widerspruchsbehörde. 63
Siehe dazu jetzt die Klausur Teueres Parken in Zwickau
Fall 6: Nichterteilung einer Sondernutzungserlaubnis durch das Straßenbauamt Zwickau:
Meier beantragt beim Straßenbauamt Zwickau die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis, weil er eine Staatsstraße im Zuständigkeitsbereich des SBA Zwickau über den Gemeingebrauch hinaus nutzen will (Errichtung einer Werbetafel).64 Diesen Antrag lehnt das Straßenbauamt ab. Meier erhebt Widerspruch (sog. Verpflichtungswiderspruch).
1. Die Ausgangsbehörde
Ausgangsbehörde für die Erteilung (und auch Versagung) einer derartigen Sondernutzungserlaubnis 65 ist das zuständige Straßenbauamt nach § 18 Abs. 1 Satz 2 des Sächsischen Straßengesetzes) als Straßenbaubehörde. Nach § 47 Abs. 3 Satz l des Sächsischen Straßengesetzes sind die Straßenbauämter „Untere Straßenbaubehörden soweit dem Freistaat Sachsen die Straßenbaulast obliegt. Träger der Straßenbaulast ist nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Straßengesetzes der Freistaat Sachsen bei Staatsstraßen.
Demnach ist das Straßenbauamt Zwickau als „untere Straßenbaubehörde zuständig.
2. Die Widerspruchsbehörde
a) Spezialvorschrift bei Selbstverwaltungsangelegenheiten
Eine Selbstverwaltungsangelegenheit (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO) scheidet wiederum aus, weil das Straßenbauamt eine Staatsbehörde nach § 13 Abs. 1 Satz 2 b des Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetzes und somit keine Selbstverwaltungsbehörde ist.
b) Sonderregelung für die anderen Fälle
§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO kommt zur Anwendung, wenn gegenüber dem Straßenbauamt Zwickau die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder Landesbehörde wäre. Dann wäre das SBA Zwickau selbst Widerspruchsbehörde.
Aus dem Straßengesetz ist abzuleiten, dass die nächsthöheren Behörden gegenüber dem Straßenbauamt die Regierungspräsidien sind (§ 47 Abs. 2), denen wiederum die „ObersteStraßenbaubehörde vorgesetzte Behörde ist, konkret das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit (§ 47 Abs. 1 Sächsisches Straßengesetz).
Auch aus dem neuen „Sächsischen Verwaltungsorganisationsgesetz kann man diese Über- und Unterordnung ableiten. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 sind im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit den Regierungspräsidien die Straßenbauämter nachgeordnet. Die Regierungspräsidien sind aber keine obersten Staatsbehörden, siehe § 3 des Verwaltungsorganisationsgesetzes.
Demnach liegt der Fall des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.
c) Der Auffangtatbestand
Es verbleibt bei der „Generalklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, nächsthöhere Behörde gegegenüber dem Straßenbauamt Zwickau ist das Regierungspräsidium Chemnitz (abzuleiten aus dem Sächsischen Straßengesetz und dem Verwaltungsorganisationsgesetz).
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